Kennzahlen im Unternehmensbereich Materialwirtschaft

Die Materialwirtschaft stellt einen wesentlichen Teil des Wertschöpfungsprozesses und hat Auswirkungen auf die Finanzkennzahlen eines Unternehmens. Beispielsweise wirkt sich der Einkauf direkt auf das operative Ergebnis aus. Der Bestand an Vorräten und die damit verbundene Kapitalbindung haben einen maßgeblichen Einfluss auf die Liquidität eines Unternehmens. Es herrschen Zielkonflikte zwischen Einkauf und Lagerhaltung, die von beiden Seiten zu betrachten sind. Bspw. sind niedrige Einkaufspreise aufgrund hoher Bestellmengen aus Sicht der Beschaffung zunächst vorteilhaft, jedoch will die Lagerhaltung hohe Bestände und die daraus resultierende geringe Umschlagshäufigkeit vermeiden.

Kennzahlen sind an dieser Stelle sinnvoll, um Zielkonflikte möglichst effizient zu lösen und die gesamten Abläufe zu kontrollieren und optimieren. Sie bieten Aufschluss über ineffiziente Prozesse, wodurch sich das Identifizieren und Beheben von Fehlerursachen leichter gestaltet.

Anhand der erläuterten Kennzahlen werden Kostentreiber in der Beschaffung und der innerbetrieblichen Logistik aufgedeckt und gleichzeitig die Qualität der Produkte erhöht.

 

Die Frühindikatoren für den Unternehmensbereich Materialwirtschaft:

  • Beschaffungspreisindex (Beschaffungspreise aktuelles Geschäftsjahr / Vorjahr (in %)):
    Durch den Beschaffungspreisindex werden die Beschaffungspreise des aktuellen Geschäftsjahres mit denen des Vorjahres verglichen. Dieser Vergleich der eigenen Beschaffungspreise im Zeitverlauf ist sinnvoll, da daraus die Verhandlungsstärke interpretiert wird. Die Veränderung der Beschaffungspreise beeinflusst die Marge, weshalb überprüft werden muss, ob diese verhandelt oder optional durch höhere Verkaufspreise auf die Kunden übertragen werden können. Parallel lohnt sich ein Blick auf die allgemeinen Beschaffungsindizes wie beispielsweise www.stahlpreise.eu. Diese Kennzahl ist monatlich, spätestens quartalsweise zu erheben.
  • Abhängigkeit von Lieferanten (Anzahl der Lieferanten pro produktionskritischem Material)):
    Produktionskritische Materialien beschreiben die Materialien, ohne die eine reibungslose Produktion nicht erfolgen kann. Für die Beschaffung ist es wichtig, bei allen Lieferanten die Möglichkeit zu besitzen, im Falle von Lieferschwierigkeiten oder Preissteigerungen auf andere Lieferanten auszuweichen. Bei hoher Abhängigkeit drohen sonst geringere Margen oder Handlungsunfähigkeit, wodurch die Existenz des Unternehmens gefährdet sein kann. Der Fokus wird auf strategisch wichtige oder margenstarke Produkte gelegt, sodass die benötigten Materialien für diese Produkten aus mehreren Quellen beschafft werden. Dies sollte halbjährlich überprüft werden.
  • Liefertreue (Anzahl pünktlicher Lieferungen / Gesamtzahl der Lieferungen (in %)):
    Die Liefertreue beschreibt die Wahrscheinlichkeit, mit der ein zugesagter Lieferzeitpunkt vom Versender eingehalten wird. Eine geringe Liefertreue erschwert einerseits die Beschaffungsplanung von Material und Fremdleistungen und erhöht die Gefahr von hoher Kapitalbindung aufgrund hoher Bestellmengen. Andererseits steigt die Gefahr von Produktionsstillständen durch zu späte Lieferungen. Die Liefertreue ist ein wichtiger Faktor bei der Auswahl von Lieferanten und im Zeitablauf zu überprüfen. Optimal ist eine Liefertreue von 100 Prozent, da eine hohe Liefertreue die Planung der Bestellmenge und des Bestellzeitpunktes erleichtert.
  • Lieferungsqualität (Anzahl der fehlerfreien Lieferungen / Gesamtzahl der Lieferungen (in %)):
    Der prozentuale Anteil der fehlerfreien Lieferungen an der Gesamtzahl der Lieferungen wird als Lieferqualität bezeichnet. Fehlerhafte Produkte schaden der eigenen Wertschöpfung, da die angelieferten Produkte nicht in vollem Umfang eingesetzt werden können und zusätzliche Kosten verursachen. Dies ist neben dem Preis und der Liefertreue ein wichtiges Kriterium bei der Lieferantenauswahl, da Mehrkosten durch Qualitätsmängel entstehen. Zur Sicherstellung der Qualität sind Kontrollen durchzuführen, bei denen die angelieferten Produkte überprüft werden. Hier empfiehlt sich eine Wareneingangskontrolle, um frühzeitig fehlerhafte Lieferungen zu erkennen und nicht erst in der Produktion.
  • Lieferbereitschaftsgrad (Anzahl der termin- und mengengerecht erfüllten Aufträge / Gesamtzahl der Aufträge (in %)):
    Der Lieferbereitschaftsgrad beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, Aufträge innerhalb einer definierten Zeitspanne umzusetzen. Eine schnelle Auftragsabwicklung führt zu einer höheren Kundenzufriedenheit und einer Verbesserung der Kundenbindung. Ein zu hoher Lieferbereitschaftsgrad kann als negativen Effekt eine hohe Kapitalbindung zur Folge haben. Zur Bestimmung des optimalen Lieferbereitschaftsgrades sind die Produkte, die im Vorrat verbleiben, zu priorisieren. Kernprodukte sollten dabei eine höhere Lieferbereitschaft aufweisen als Nebenprodukte. Wenn es sich um Lebensmittel mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum handelt, sind diese bei der Berechnung der Vorratsmenge zu berücksichtigen. Ein Lieferbereitschaftsgrad von 90 – 95 Prozent ist ein Zielwert, der als hohe Lieferleistung gilt.

 

Die Spätindikatoren des Unternehmensbereiches Materialwirtschaft:

  • Materialintensität (Materialkosten / Umsatz (in %)):
    Die Materialintensität beschreibt den Anteil der eingekauften Waren und Fremdleistungen am Umsatz. Eine im Zeitablauf steigende Materialintensität kann bspw. auf eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit hindeuten, wenn steigende Einkaufspreise nicht an die Kunden weitergegeben werden können. Eine hohe Materialintensität kann ebenfalls ein Anzeichen für einen unwirtschaftlichen Materialeinsatz oder eine geringe Fertigungstiefe sein. Die Materialintensität verhält sich stark branchenabhängig, sodass ein Branchenvergleich sinnvoll ist. Die durchschnittliche Materialintensität variiert besonders zwischen Produktions- und Dienstleistungsunternehmen: Beispielsweise hat ein Friseurbetrieb eine durchschnittliche Materialintensität von elf Prozent, während ein Fleischereibetrieb rund 48 Prozent ausweist.[1]
  • Lagerumschlagshäufigkeit (Absatz / durchschnittlicher Lagerbestand):
    Diese Kennzahl gibt an, wie häufig ein durchschnittlicher Lagerbestand innerhalb eines Geschäftsjahres in Gänze entnommen und ersetzt wurde. Ebenfalls wird sie zur Überprüfung der Kapitalbindung im Lager eingesetzt. Während eine hohe Lagerumschlagshäufigkeit zur Freisetzung von Kapital und höherer Liquidität führt, ist eine niedrige Lagerumschlagshäufigkeit als negativ zu bewerten, da viel Kapital im Lager gebunden ist. Für die Bestimmung eines Richtwerts ist ein Branchenvergleich notwendig. Im Gesamtdurchschnitt lag die Lagerumschlagshäufigkeit ungeachtet der Branchen im Jahr 2019 bei 5,4.[2]
  • Vorratsreichweite (Vorrat am Stichtag / Materialeinsatz pro Tag der Folgeperiode):
    Die Vorratsreichweite gibt Aufschluss über die Zeitspanne, in der ein Unternehmen den MaterialbedaDrf durch seinen Vorrat decken kann. Die Betrachtung im Zeitverlauf ermöglicht Schlussfolgerungen in Bezug auf die Effizienz der Lagerhaltung und des Einkaufs.
  • Optimale Losgröße (optimale Bestellmenge):
    Die optimale Losgröße kann sowohl für den Einkauf als auch die Produktion genutzt werden. Im Einkauf hat die Berechnung der optimalen Losgröße das Ziel, die optimale Bestellmenge pro Lieferung zu bestimmen. Die Gesamtkosten bei der Beschaffung setzen sich aus den Transaktionskosten und den Kapitalbindungskosten für die Lagerung zusammen. Durch die optimale Losgröße wird die Beschaffungsmenge pro Bestellung bestimmt, bei der die Gesamtkosten am niedrigsten sind. Dies ist besonders wichtig, da der Einkauf eine direkte Wirkung auf das operative Ergebnis hat und Kosteneinsparungspotenziale genutzt werden sollten. Die Berechnungen stellen sich wie folgt dar:
    Transaktionskosten = benötigte Gesamtmenge der Periode / Bestellmenge je Auftrag * Transaktionskosten je Auftrag
    Lagerkosten pro Stück = Bestellmenge / 2 * (physische Lagerkosten + Kapitalbindungskosten)
    Die physischen Lagerkosten und die Kapitalbindungskosten sind dabei als Zinssätze anzugeben
    Optimale Losgröße = √ 2 * benötigte Gesamtmenge der Periode * Transaktionskosten / Lagerkosten pro Stück
    Das Ergebnis der Berechnung ist die optimale Losgröße, jedoch müssen zusätzlich die optimalen Zeitabstände bestimmt werden. Dazu muss die optimale Losgröße durch die Bedarfsrate geteilt werden, sodass aus dem Ergebnis hervorgeht, wie lang die optimalen Zeitabstände zwischen den Bestellungen sind.
  • Materialstruktur:
    Zur Bestimmung der Materialstruktur ist eine ABC/XYZ-Analyse durchzuführen. Aus den Ergebnissen werden dann Handlungsempfehlungen zur Materialbeschaffung abgeleitet. Während im Rahmen einer ABC-Analyse die Artikel anhand ihres Anteils am gesamten Materialwert in drei verschiedene Kategorien eingeteilt werden, erweitert die ABC/XYZ-Analyse dies um die Verbrauchsstruktur. Es entstehen neun verschiedene Kategorien, in die die Artikel klassifiziert werden. Zunächst wird eine ABC-Analyse durchgeführt. Es werden die Artikel gemäß ihrem Anteil am gesamten Materialwert absteigend sortiert und die Prozentsätze kumuliert. Daraufhin werden die Artikel, deren gesamter Materialwert kumuliert 80 Prozent ergibt, der Kategorie A zugeordnet. Dies sind hochwertige Artikel, bei denen sich hohe Bestände negativ auf die Liquidität auswirken. Die folgenden Artikel, die 15 Prozent des gesamten Materialwertes umfassen, werden in Kategorie B eingeteilt. Die verbleibenden Artikel, die fünf Prozent des gesamten Materialwertes ergeben, werden der Kategorie C zugeordnet. Bei Artikeln der Kategorie C kann es sinnvoll sein, Mengenrabatte in Anspruch zu nehmen, da diese ggf. die Kapitalbindungskosten übersteigen. Um die Beschaffungsstrategien zu präzisieren, wird die XYZ-Analyse durchgeführt. Güter der Kategorie X werden gleichmäßig verbraucht und haben eine hohe Vorhersagegenauigkeit, wodurch die optimale Beschaffungsmenge bestimmt werden kann. Y-Artikel unterliegen stärkeren Verbrauchsschwankungen als X-Artikel. Diese Schwankungen sind häufig saisonal bedingt und lassen sich näherungsweise einschätzen. Z-Artikel werden nur sporadisch verbraucht. Sie haben eine hohe Volatilität sowie eine niedrige Vorhersagegenauigkeit. Dies erweist sich für die Planung des Beschaffungszeitpunktes als nachteilig. Zur Festlegung der Beschaffungsstrategie werden die Schnittmenge der beiden Dimensionen verwendet. Für AX, AY, BX, BY und CX-Artikel eignet sich somit eine Just-in-Time Beschaffung, da dies die hohe Vorhersagegenauigkeit nutzt, um die Kapitalkosten zu minimieren. Hingegen sind CZ-Artikel für die Vorratshaltung prädestiniert, da die Einschätzung der Bestellzeitpunkte schwierig und die Kapitalbindung gering ist. Die Materialstruktur sollte zumindest jährlich auf Aktualität geprüft werden.

Bei Fragen kontaktieren Sie uns gerne über unser Kontaktformular oder melden Sie sich direkt telefonisch bei uns unter 0611 – 999 40-0.

 

[1] https://www.handwerk-magazin.de/wareneinsatzquote/150/2139/34860

[2] https://www.jpmorgan.com/content/dam/jpm/cib/complex/content/treasury-services/benchmarking-working-capital/pdf-0.pdf