Insolvenzantragsgründe – Wie sehen diese aus?

Die Überwachung der Insolvenzantragspflicht gehört insbesondere in der Krise eines Unternehmens zu den zentralen Pflichten der Geschäftsleitung. Denn bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes ist die Geschäftsführung verpflichtet einen Insolvenzantrag zu stellen.

Die Insolvenzordnung (InsO) kennt insgesamt drei Insolvenzantragsgründe: die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und die Überschuldung (§ 19 InsO).

 

Zahlungsunfähigkeit

Die Zahlungsunfähigkeit gilt als allgemeiner Eröffnungsgrund. Nach dem Wortlaut des Gesetzes liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen.

Laut BGH ist dies gegeben, wenn das Unternehmen zehn Prozent oder mehr seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten länger als drei Wochen nicht erfüllen kann. Ob dies der Fall ist, wird in bis zu drei Schritten ermittelt:

Schritt 1

Zunächst müssen zu einem Stichtag die liquiden Mittel auf der Aktivseite den fälligen Verbindlichkeiten auf der Passivseite gegenübergestellt werden, um einen Überblick über den Liquiditätsstatus des Unternehmens zu erhalten.

Ergibt sich hierbei, dass die aktuell zur Verfügung stehenden Zahlungsmittel größer sind als die fälligen Verbindlichkeiten, liegt keine Liquiditätslücke (Unterdeckung) vor. Somit ist auch keine Zahlungsunfähigkeit gegeben.

Wenn allerdings eine Unterdeckung vorliegt, muss in einem nächsten Schritt (2.) im Rahmen eines Finanzplans die Liquiditätsplanung für einen gewissen Zeitraum betrachtet werden.

Schritt 2

Laut BGH liegt keine Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner seine Liquiditätslücke innerhalb von drei Wochen wieder schließen kann, z.B. mit Hilfe eines Darlehens oder Stundungsvereinbarungen mit den Gläubigern.

Auf der Aktivseite wird hierbei alles berücksichtigt, was kurzfristig, d.h. innerhalb von drei Wochen, „zu Geld gemacht“ werden kann. Die danach verfügbaren Zahlungsmittel auf der Aktivseite werden den am Stichtag fälligen Verbindlichkeiten auf der Passivseite gegenübergestellt.

Mit dem Urteil vom 19. Dezember 2017 hat der BGH entschieden, dass zusätzlich die binnen drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten in die Liquiditätsplanung einzubeziehen sind.

Wenn die Liquiditätslücke innerhalb der drei Wochen geschlossen werden kann, handelt es sich lediglich um eine Zahlungsstockung, nicht um eine Zahlungsunfähigkeit. Wenn die Lücke nicht geschlossen werden kann, ist im Anschluss (3.) die Größe der Liquiditätslücke zu bestimmen.

Schritt 3

Beträgt eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners weniger als zehn Prozent seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten, ist in der Regel von Zahlungsfähigkeit auszugehen. Eine Ausnahme hiervon gilt, wenn bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als zehn Prozent beträgt. Beträgt die Liquiditätslücke mindestens zehn Prozent, ist in der Regel von Zahlungsunfähigkeit auszugehen.

Allerdings liegt keine Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich Zahlungsstockung vor, wenn diese Deckungslücke innerhalb von drei Monaten wieder beseitigt werden kann. Wird die Deckungslücke nicht innerhalb von drei Monaten geschlossen werden, besteht eine Zahlungsunfähigkeit.

Das folgende Beispiel stellt eine Berechnung der Unterdeckung dar:

      • Die liquiden Mittel weisen 38.000 € auf, die fälligen Verbindlichkeiten 40.000 €.
      • Dies entspricht einer Unterdeckung von 1 – (38.000/40.000) = 5%.
      • Dieses Unternehmen wäre folglich nicht zahlungsunfähig, da die Liquiditätslücke kleiner als zehn Prozent ist.

Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit in den vorgenannten Schritten kann unterbleiben, wenn der Schuldner seine Zahlungen einstellt. Denn bei Zahlungseinstellung wird die Zahlungsunfähigkeit (widerlegbar) vermutet.

Indizien der Zahlungseinstellung können laut BGH die bloße Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten, die Nichtzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen über sechs Monate, eine dauernd schleppende Zahlung von Löhnen oder das Unterlassen von Zahlungen, die für die Aufrechterhaltung eines Unternehmens essenziell sind (z.B. Miete, Wasser etc.), sein.

Einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit können sowohl die Gläubiger (Fremdantrag) als auch der Schuldner selbst (Eigenantrag) stellen.

 

Drohende Zahlungsunfähigkeit

Die Zahlungsunfähigkeit ist abzugrenzen von der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Unternehmen können bei drohender Zahlungsunfähigkeit freiwillig einen Insolvenzantrag stellen, um die Chancen einer Sanierung während des Insolvenzverfahrens zu erhöhen.

Drohende Zahlungsunfähigkeit liegt vor, wenn der Schuldner voraussichtlich in der Zukunft nicht in der Lage sein wird, seine bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.

Die Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfolgt mit Hilfe eines Finanzplans, in dem die prognostizierten Einzahlungen den absehbaren Auszahlungen für einen gewissen Zeitraum gegenübergestellt werden.

In die Prognose sind laut BGH auch solche Zahlungsverpflichtungen einzubeziehen, deren Fälligkeit im Prognosezeitraum zwar nicht sicher, aber überwiegend wahrscheinlich ist.

Fraglich ist der anzusetzende Zeitraum der Prognose. Hier werden unterschiedliche Meinungen mit einer Zeitspanne von mehreren Monaten bis zu mehreren Jahren vertreten. Die herrschende Meinung vertritt einen Prognosezeitraum, der das laufende sowie das folgende Geschäftsjahr bzw. mindestens 18 Monate umfasst.

Wenn die Prognose ergibt, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher ist als deren Vermeidung, liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor.

Einen Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit kann nur der Schuldner stellen, nicht aber die Gläubiger.

Da die Geschäftsleitung eines Unternehmens in der Regel nicht freiwillig die Kontrolle über das Unternehmen an einen Insolvenzverwalter abgeben möchten, kommt die drohende Zahlungsunfähigkeit bei der Insolvenzantragstellung in der Praxis selten vor.

 

Überschuldung

Bei juristischen Personen sowie Personengesellschaften, bei denen keine natürliche Person persönlich voll haftet (z.B. GmbH & Co. KG) sind neben der Zahlungsunfähigkeit auch die Überschuldung ein Grund für ein Insolvenzverfahren.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners nicht mehr ausreicht, um die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken, wobei nach Satz 2 bei der Bewertung des Vermögens des Schuldners jedoch die Fortführung des Unternehmens in den nächsten 12 Monaten zu Grunde zu legen ist, wenn diese nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist.

Die insolvenzrechtliche Überschuldungsprüfung erfolgt somit in drei Schritten:

Schritt 1

Zunächst ist zu ermitteln, ob eine Überschuldung des Unternehmens vorliegt. Hierzu wird eine Überschuldungsbilanz aufgestellt. Darunter ist ein stichtagsbezogener Status zu verstehen, in dem die Aktiva der Passiva des Schuldners gegenübergestellt wird.

Bei der Wertermittlung der Aktiva und Passiva dürfen hierbei nicht die Werte der Handels- oder Steuerbilanz (Buchwerte) herangezogen werden, sondern es sind die Liquidationswerte anzusetzen. Das bedeutet, dass auf der Aktivseite stille Reserven, z.B. bei Gebäuden, zu berücksichtigen sind, wodurch eine Überschuldung beseitigt werden kann.

Verbindlichkeiten, für welche ein sogenannter qualifizierte Rangrücktritt erklärt wurde, dürfen bei der Betrachtung der rechnerischen Überschuldung außer Acht gelassen werden. So kann z.B. ein Gesellschafter einen Rangrücktritt auf ein Gesellschafterdarlehen erklären, um einer Überschuldung entgegenzuwirken.

Ist die Aktiva größer als die Passiva besteht keine rechtliche Überschuldung und demnach auch keine Insolvenzantragspflicht.

Wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, ergibt sich eine rechnerische Überschuldung. Hieraus folgt die Notwendigkeit einer Fortführungsprognose.

Schritt 2

Ob eine Fortführung des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist, wird mittels einer sogenannten Fortbestehungsprognose gutachterlich ermittelt.

Die Voraussetzungen für eine positive Fortbestehungsprognose sind der Wille zur Fortführung des Unternehmens und ein realisierbares Unternehmenskonzept für die folgenden 12 Monate. Darin muss unter anderem eine integrierte operative Unternehmensplanung mit einer Liquiditätsprognose enthalten sein, aus der erkennbar ist, dass die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens im betrachteten Zeitraum überwiegend wahrscheinlich ist und das Unternehmen wieder branchenübliche Überschüsse erwirtschaftet.

Bei einer negativen Fortbestehungsprognose besteht durch rechtliche Überschuldung die Insolvenzantragspflicht.

Schritt 3

Ist die Fortführungsprognose zu einem positiven Ergebnis gekommen, ist die Überschuldungsbilanz zu Fortführungswerten, also aus der Perspektive des Unternehmens, abzubilden. Wenn demnach die Aktiva größer als die Passiva ist, besteht keine rechtliche Überschuldung und demnach auch keine Insolvenzantragspflicht.

Einen Insolvenzantrag wegen Überschuldung können die Gläubiger (Fremdantrag) als auch der Schuldner selbst (Eigenantrag) stellen.

 

Änderungen der Insolvenzantragspflicht aufgrund der COVID-19-Pandemie

Durch den Corona-Pandemie gab weitreichende Änderungen in Bezug auf die Insolvenzantragspflicht von Unternehmen, die (drohend) zahlungsunfähig und / oder überschuldet sind.

Unternehmen, dessen Insolvenzreife auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist und bei denen die Aussicht auf Beseitigung der Zahlungsunfähigkeit besteht, wenn der Schuldner zum 31. Dezember 2019 noch zahlungsfähig gewesen ist, wurden von der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020 befreit. Ziel dieser Maßnahme des Bundes ist es, den Unternehmen Zeit zur Beschaffung existenzsichernder Mittel zu verschaffen.

Diese oben genannten Regelungen sind analog für Unternehmen mit einer Insolvenzantragspflicht aufgrund von Überschuldung vom 01. Oktober bis zum 31. Dezember 2020 anzuwenden.

Hinsichtlich der nach wie vor vorherrschenden Corona-Situation wurden diese Maßnahmen auf das Jahr 2021 erweitert. Zwischen dem 01. Januar und 31. Dezember 2021 ist die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die zwischen dem 01. November 2020 und 31. Dezember 2020 einen Antrag auf Gewährung finanzieller Hilfe gestellt haben (November- und Dezember-Hilfe), ausgesetzt.

Zusätzlich dazu gibt es eine Erweiterung dieser Maßnahmen für Unternehmen, die den Antrag auf finanzielle Hilfe erst im Jahr 2021 bis spätestens 28. Februar 2021 gestellt haben. Die betreffenden Unternehmen haben bis zum 30. April 2021 keine Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.

Des Weiteren ist für das gesamte Jahr 2021 im Rahmen einer Überschuldung nur eine viermonatige, statt wie bisher zwölfmonatige Planungszeitraum zu erstellen. Voraussetzung dafür ist, dass das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 nicht zahlungsunfähig gewesen ist, im letzten Geschäftsjahr vor dem 01. Januar 2020 ein positives Ergebnis aus gewöhnlicher Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat und der Umsatz im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr, um mehr als 30 % eingebrochen ist.

Es wurden noch weitere Änderungen vorgenommen:

      • Recht auf Vorgespräch mit dem Gericht (§ 10a InsO)
      • Antragspflicht bei Überschuldung beträgt 6 Wochen (§ 15a InsO)
      • Planungszeitraum der Fortbestehungsprognose bei drohender Zahlungsunfähigkeit beträgt 24 Monate (§ 18 InsO)

 

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